Ich habe mich mit einer Freundin verstritten. Sie hat wieder mal eine Verabredung abgesagt. Ich bin sauer. Als ich einem Freund davon erzähle, fragt er mich, was mich daran so sehr aufregt. Das kann doch immer mal passieren. Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Welches Detail hat Dich im Nachgang am meisten beschäftigt?

Um es gleich zu Beginn klarzustellen:  Ich halte es für wenig zielführend, jedes schlimme Detail einer Geschichte durchzugehen. Eine Verletzung wird nicht dadurch besser, dass Du sie immer wieder erzählst. Das Gegenteil ist der Fall.

In meiner Praxis und in meiner ehrenamtlichen Arbeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass es oft gar nicht die schlimmen Ereignisse selbst sind, z.B. der Moment, wenn bei einem Unfall die Autos zusammenstoßen oder der Partner aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, die uns nachhaltig beschäftigen. Es sind vielmehr die Momente, in denen wir uns als Person betrogen und angegriffen fühlen oder tief in unserem inneren Selbstverständnis verletzt werden, z.B. der Moment als der Partner in einem vorangegangenen Streit mit der Schwiegermutter, geschwiegen und sich abgewendet hat. Nachhall hat der Verrat in der Beziehung, nicht der Streit. Oder der kurze Moment vor dem Aufprall, in dem das Unvermeidbare bereits offensichtlich war,  in dem Du  den eigenen Kontrollverlust und die eigene Hilflosigkeit gespürt hast, nicht der Unfall selbst. Geblieben ist der Verlust des Sicherheitsgefühl und des Vertrauens in die eigene Handlungsfähigkeit.

Beim Streit mit meiner Freundin war es der Hinweis von ihr, ich müsse doch Verständnis haben, dass es ihr nicht gutgeht. Und was ist mit mir! Mit meinen Befinden. Ich hätte Dir gerne von meinen Sorgen erzählt. Jetzt bin ich wieder mal allein damit. Hier ist mein persönliches Einfallstor.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir bei fast allem, was uns wiederfährt, einen Rückschluss auf uns selbst machen. Im schlimmsten Fall richten wir die Erfahrung gegen uns selbst. Wir hadern mit uns, „wäre, hätte ich doch nur…“ oder geben uns gar selbst die Schuld dafür. Fühlen uns handlungsunfähig oder verunsichert. Machen uns selbst nieder. Fühlen uns schlecht und wertlos.  In unseren Gedanken tauchen dann vielleicht Sätze auf wie „Ich bin es nicht wert, dass man zu mir steht“, oder vielleicht „ Wieder mal versagt“. Oder richten unseren Fokus auf andere. Wir stellen unser Gegenüber in Frage und ziehen Rückschlüsse auf uns:  „Ich kann mich nur auf mich selbst verlassen“ oder  „Von anderen kann ich nichts erwarten“ usw.  Manchmal geben wir uns in solch einer prägenden Situation ein Versprechen:  „Nie wieder werde ich mich so demütigen lassen“ oder „Von nun an verlasse ich mich nur noch auf mich selbst“. Oder wir betrachten das Ereignis durch eine Brille, die uns seit langem vertraut ist „Wusste ich es doch, dass ich mich auf andere nicht verlassen kann“. Im Streit mit meiner Freundin war es das Gefühl des Alleingelassen werdens und nicht Vertauen können, das mich so getroffen hat.

Den inneren Überzeugungen auf die Schliche kommen

Was genau hat Dich am meisten verletzt? Eine ehrliche Antwort führt Dich zu Deinen tiefen Überzeugungen, die Dir vielleicht mal mehr oder weniger bewusst sind: Diese inneren Überzeugungen können Dir wichtige Hinweise geben, wie Du tickst, mit welcher Brille Du die Welt wahrnimmst. Sie werden als Glaubenssätze bezeichnet. Sie bilden ein Grundgerüst, wie wir uns selbst, andere und unsere Umwelt wahrnehmen. Diese Sätze entstehen meist schon in der frühen Kindheit und prägen uns unterschwellig. Wenn das Kopfkino erst  einmal angefangen hat,  Du grübelst und denkst, die Verletzung immer wieder vor Deinem inneren Auge lebendig wird, Du Dich beim darüber nachdenken vielleicht in Gedankenschleifen verhedderst und Dich im Kreis drehst, setze einen bewussten Endpunkt. Sage laut STOPP und versuche die Quintessenz Deiner Gedanken herauszufiltern. Das erfordert Mut und Ehrlichkeit mit Dir selbst. Frage Dich, was hat dich am meisten verletzt? Was war der Aspekt, der Dich so nachhaltig beschäftigt? Warum ist das so? Welche tiefe innere Überzeugung steht dahinter? Welche Glaubenssätze hast Du? Werde Dir bewusst, was Du über Dich und andere denkst. Das Kopfkino wird dadurch noch nicht aufhören. Allein das Wissen über Deine inneren Glaubenssätze kann jedoch bereits erleichternd sein. Und wenn Du wieder ins Grübeln kommst, kannst Du Dich liebevoll unterbrechen und Dir deutlich machen, dass Du gerade wieder dabei bist, Dich in Deinen inneren Glaubenssätzen zu verfangen.

Ich habe meine Freundin einen Tag später angerufen und ihr gesagt, was mich so heftig auf ihre Absage unserer Verabredung hat reagieren lassen. Sie hat sich bedankt für die offenen Worte und war ganz berührt, dass ich sie an meinen innersten Überzeugungen habe teilhaben lassen.