Einsamkeit und allein sein sind nicht das gleiche. Die Anzahl der Menschen, die Dich umgeben, sagt wenig darüber aus, ob Du Dich einsam fühlst.  Nicht jeder, der alleine lebt und viel alleine macht, ist einsam. Auch ändert sich wenig an Deiner Einsamkeit, nur weil Du plötzlich von vielen Menschen umgeben bist – Du empfindest sie vielleicht sogar stärker aus vorher. Einsamkeit impliziert ein „ZU WENIG“. Es schimmert immer auch die Sehnsucht nach „MEHR“ Kontakt und Verbundenheit mit.

Einsamkeit ist ein Weckruf: Welche Verbindung fehlt Dir?

Es geht darum, sich selbst mit etwas, das von Bedeutung für Dich ganz persönlich ist, zu verbinden. Das kann ein anderer Mensch sein, bei dem Du das Gefühl hast, so sein zu können wie Du wirklich bist mit all Deinen Facetten, Stärken und Schwächen. Einem Menschen mit dem Du  teilen kannst, was Dich bewegt, z.B. jemand der  nicht nur fragt wie es Dir geht, sondern aufrichtig an einer Antwort interessiert ist und Dir zuhört. Jemand der mit Dir Freude teilt, wirklich versteht, was Dich gerade so glücklich macht, Dir den Raum gibt, den Du gerade brauchst und  auch zu Dir steht, wenn es Dir nicht gut geht, Du keine Kraft hast und Du nur schwer auszuhalten bist.

Du kannst Dich auch mit etwas verbinden, wofür Du brennst, etwas dass Deinem Leben Bedeutung und Sinn gibt:  Dein Sport, Dein Malen oder Deine Spaziergänge im Wald, wenn Du in den Flow kommst und inneren Frieden empfindest. Es kann auch eine  sinnstiftende berufliche Aufgabe sein oder  ein Engagement für eine Partei, Dein Glaube, etwas das Dich verbunden und zugehörig fühlen lässt. Vielleicht ist auch Deine Liebe zu einem Ort, an dem Du durchatmen kannst, der Dir Wurzeln und Heimat gibt, z.B. ein Lieblingsplatz am Meer, ein Ort der Kindheit oder ein Wohnort, an dem Du Dich mit der Natur und oder den Menschen vor Ort verbunden fühlst.

Ich vermute, Du bist soweit mit dem Lesen gekommen, da Dir diese Verbundenheit fehlt. Da ist vielleicht diese Sehnsucht, nach mehr (…), ja nach was? Was genau Dir fehlt, kannst du womöglich gar nicht so genau benennen.  Vielleicht auch doch? Einsamkeit ist ein Weckruf. Einsamkeit signalisiert ein Fehlen von. Wie Du die Lücke für Dich füllst, ist sehr individuell.

Einsamkeit entsteht, wenn andere Dich nicht sehen

Manchmal ist das allein sein gut greifbar, da Du alleine ohne enge Bindungen durchs Leben gehst. Manchmal auch nicht. Nur weil es andere Menschen in Deinem Leben gibt, heißt das noch lange nicht, dass Du Dich zugehörig fühlst.  Einsamkeit ist so viel mehr, als die Abwesenheit einer anderen Person. Einsamkeit beschreibt zum Beispiel das Gefühl, nichts Teilen zu können, was für Dich und jemand anderen gemeinsam von Bedeutung ist. Du erzählst mit Begeisterung davon, wie sehr Dich darüber freust, dass Du Deinen Garten frühlingsfit gemacht hast und Dein Mann sagt beiläufig „Schön für Dich“ und wendet sich wieder der Zeitung zu. Du bist traurig und niedergeschlagen und rufst einen Freund an, damit Du nicht so alleine in Deiner Traurigkeit bist. Er hört Dir gar nicht richtig zu und hat schnell viele praktische Ratschläge parat.  Du liegst im Krankenhaus und wirst umsorgt und fühlst Dich dennoch allein.

Es geht mir nicht um einmalige Erlebnisse. Es geht mir um die schleichende Anhäufung von vielen kleinen Erlebnissen im Alltag, die sich irgendwann zu einem Bild verfestigen. Erst hast Du es im Alltagstrubel vielleicht gar nicht bemerkt, aber dann spürst du diese Unverbundenheit und Einsamkeit mit der Zeit immer mehr. Wenn Deine Familie, Dein Partner, die Menschen, die Dich umgeben, nicht verstehen wollen oder können, was für Dich wichtig ist, wer Du bist. Vielleicht weißt Du es selbst nicht so genau. Spürst nur, dass Dir etwas fehlt, Du Dich verloren und alleine fühlst.  Dann ist es umso wichtiger, dass da jemand für Dich da ist, der Dir mit Interesse, Neugierde und Offenheit begegnet.  Bleibt da eine Leerstelle, verstärkt sich Deine Einsamkeit.

Einsamkeit entseht aus der Angst, dass andere Dich sehen könnten

Einsamkeit entsteht auch dann, wenn Dir Nähe Unbehagen bereitet.  Die Vorstellung, dass ein anderer Mensch, Dich so sieht, wie Du wirklich bist, löst bei Dir eher Schweißperlen und Fluchtgedanken aus. „Wenn ich einen so nah ranlasse, dann sieht der womöglich (…), ja was?“ Hast Du Dir diese Frage schon mal gestellt? Was fürchtest Du, könnten andere Menschen sehen? Was würde passieren? Vielleicht glaubst Du, andere würden  die Flucht vor Dir ergreifen, wenn Du Dich zeigst, wie Du bist? Vielleicht denkst Du, Du kannst  Deinem Umfeld nur bestimmte Facetten von Dir zumuten, da Du sonst schnell zu viel wirst?  Vielleicht überwiegt auch bei Dir die Angst, wenn Du Dich öffnest und andere an Dich heranlässt, verletzt und enttäuscht zu werden (mehr dazu unter: https://www.mignon-warnemuende.de/2018/08/23/trau-dich-oder-warum-verletzlichkeit-keine-schwaeche-ist/ ) Dann ist die Vorstellung, dass Dein Gegenüber wirklich Dich meint und Du sichtbar wirst, beängstigend. Womöglich erscheint es dann sicherer, andere Menschen auf Distanz zu halten. Manchmal ist dann wirklich niemand da.  Auch das kann einsam machen.

Ich beschreibe hier nur zwei Ursachen und Erscheinungsformen von Einsamkeit. Es gibt unzählige mehr. Gemeinsam ist allen Formen von Einsamkeit die körperliche Reaktion.

Einsamkeit bedeutet Stress für den Körper

Menschen, die sich einsam fühlen, haben einen erhöhten Cortisol-Spiegel. Cortisol ist ein körpereigenes Hormon, das an vielen Stoffwechselvorgängen beteiligt ist. Es wird auch als Stresshormon bezeichnet, da es verstärkt unter Stress ausgeschüttet wird.  Einsamkeit verursacht einen starken Cortisol-Anstieg im Körper, ähnlich hoch wie wenn Menschen etwas Schlimmes wiederfährt, wie z.B. ein gewalttätiger Angriff. Einsamkeit aktiviert zudem das autonome Nervensystem. Einsamkeit ist Stress pur für den menschlichen Körper mit auf Dauer weitreichenden gesundheitlichen Folgen. Der Neurowissenschafter John Cacioppo beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Einsamkeit und  körperlicher sowie psychischer Erkrankungen. Er hat viel zu dieser Thematik geforscht und  publiziert (hier ein Link zu einem Interview mit ihm über Einsamkeit:  https://www.theatlantic.com/health/archive/2017/04/how-loneliness-begets-loneliness/521841/ ). Unter Stress nimmst Du Deine Umwelt nicht mehr so gut wahr, schätzt sie vielleicht sogar falsch ein. Mit zunehmendem körperlichen Stressempfinden beispielsweise, nimmt die Fähigkeit, Gesichtsausdrücke und Empfindungen anderer korrekt zu lesen, Tonlagen und Haltung richtig einzuschätzen, ab.  Gesichter werden unter Stress viel häufiger als bedrohlich oder ablehnend empfunden. Versuche zur Kontaktaufnahme laufen unter körperlichem Stress  vielfach ins Leere.  Passiert das immer wieder, stellst Du Dich vermutlich  immer mehr selbst in Frage. „ Ich bekomme das nicht hin. Es liegt an mir. Mit mir stimmt etwas nicht.“ Und dann ziehst Du Dich immer mehr in Dein Schneckenhaus zurück. Ein Teulfelskreis beginnt.

Einsamkeit führt zu einem Verlust des Sicherheitsgefühls

Der Stärkste ist womöglich auch der Sanfteste, weil Überleben wechselseitige Hilfe und Zusammenarbeit erfordert. Wir sind soziale Wesen. Wir sind zum Überleben auf Beziehungen  und Zusammenarbeit angewiesen.  Die Wiege der Menschheit liegt in der afrikanischen Savanne. In kleinen Stämmen haben sich Menschen zum Überleben zusammengeschlossen. Das Überleben konnte ausschließlich dadurch gesichert werden, dass sie kooperierten. Sie gingen zusammen auf die Jagd, teilten ihr Essen und kümmerten sich umeinander, wenn sie auf Hilfe angewiesen waren z.B. bei Krankheit, Schwangerschaft .Sie überleben aufgrund ihrer wechselseitigen Unterstützung. Wurde jemand  aus der Gruppe ausgeschlossen, befand er sich in Lebensgefahr. Das Nervensystem ist deshalb bei sozialer Isolation hoch aktiviert gewesen. Der Körper signalisiert Gefahr. Alles wird daran gesetzt, wieder zurück in die Sicherheit des Stammes zu gelangen.  Das ist alles lange her und auch wieder nicht. Die Reaktion des autonomen Nervensystems ist damals wie heute die gleiche. Bei Einsamkeit übernimmt im Gehirn das limbische System (der Teil des Gehirns, der nicht durch Vernunft und logisches Denken „kontrollierbar“ ist) damals wie heute die Regie.

Vor diesem evolutionären Hintergrund wird verständlich, warum Einsamkeit nicht nur unglücklich macht, sondern auch das Gefühl von Unsicherheit mit sich bringt. Das Gefühl von Einsamkeit aktiviert das autonome Nervensystem in den Überlebensmodus. Die Umwelt wird unter dem Eindruck potentieller Gefahren gescannt. Chronische Einsamkeit führt auf körperlicher Ebene zu einem latenten Gefühl der Bedrohung (siehe hierzu auch folgenden Link: https://www.mignon-warnemuende.de/2018/05/17/kontakt-braucht-sicherheit/).

Womöglich hast Du bereits selbst die Erfahrung gemacht, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob Du Dich mit einem anderen Menschen sicher fühlst und aus der Position der Sicherheit ein Gespräch führst oder ob Du durch die Brille „Gefahr/Bedrohung“ in ein Gespräch gehst. Kontakt wird dann noch viel schwieriger möglich. Dieser körperliche Vorgang geschieht heute wie damals unterbewusst, hat aber weitreichende Konsequenzen für die soziale Interaktionsfähigkeit. Es ist deshalb nicht zwingend der Stärkste, der überlebt, sondern der, der Gemeinschaft herstellen kann.

Unsere Lebensweise führt zunehmend zur Vereinzelung

Wir leben heute ein stark individualisiertes modernes Leben. Gleichzeitig leben wir mit einem Körper, der sich im Verlauf der Jahrtausende nur bedingt weiterentwickelt hat. Je nach Blickwinkel, kannst Du Deinen Körper als Manko oder als Quelle von großer Weisheit betrachten. Ich glaube an letzteres.

Auch wenn die soziale Verbundenheit des Menschens  in einer modernen individualisierten Gesellschaft nicht immer so offensichtlich zu tage tritt, liegt es nach wie vor in unserer Natur, nach  Kontakt und Verbindung zu streben.  Das Gefühl der Einsamkeit schafft eine Verbindung dazu. Gerade bei der Geburt und in den ersten Lebensjahren ist es nach wie vor besonders offensichtlich, wie sehr wir auf andere Menschen angewiesen sind. Mit dem Erwachsenwerden ist die Notwendigkeit für Bindungen und wechselseitige Unterstützung nicht mehr ganz so offensichtlich. Im hektischen Alltag in einem wettbewerbsorientierten Arbeitsumfeld, das wenig  Raum und Zeit für persönliche Beziehungen lässt, abnehmender Einbindung in Familie, Nachbarschaft und Institutionen, verblasst das Wissen um unsere soziale Bezogenheit zunehmend.

Einsamkeit stellt Deine Lebensweise und Deine Erfahrungen mit Kontakt in Frage

Dennoch werden die meisten Menschen unglücklich, wenn sie für längere Zeit alleine sind. Einsamkeit konfrontiert Dich damit mal direkter oder auch mal etwas subtiler: Da ist vielleicht ein vages Gefühl, dass Dein Leben in eine falsche Richtung steuert, Du eine Traurigkeit und Leere spürst, die Du nicht zuordnen kannst, Du Dich vielleicht heimatlos fühlst, obwohl Du zu Hause in Deinen eigenen vier Wänden bist.  Einsamkeit bringt die  Frage nach Deiner Verbundenheit mit Nachdruck auf die Tagesordnung.

Einsamkeit stellt zum einen die Frage nach Deiner Lebensweise:  Sind mein Alltag, meine Arbeit, meine Beziehung, mein Umfeld so gestaltet, dass ein Miteinander überhaupt möglich oder wahrscheinlich ist? Setze ich die richtigen Prioritäten, damit genug Zeit und Raum für ein wechselseitiges Miteinander bleibt? Verbringe ich beispielsweise  viel Zeit vor dem Computer und dem Handy? Nehme ich meinen Körper wahr und kann überhaupt noch seine Signale lesen? Und und und…

Einsamkeit führt zum anderen zu Deinen individuellen Erfahrungen im Miteinander mit anderen Menschen:  Gelingt es mir gerade jetzt nicht, befriedigende Kontakte einzugehen?  Oder ist es mir schon immer schwer gefallen?  Habe ich negative Erfahrungen gemacht? Welche Ängste habe ich? Wie verhalte ich mich im Kontakt mit anderen? Halte ich andere eher auf Distanz? Kämpfe ich ständig um Aufmerksamkeit der anderen und empfinde Kontakt als sehr anstrengend? Oder ist es mir am liebsten, wenn andere gar keine Notiz von mir nehmen? Wie mache ich es konkret?

Einsamkeit führt Dich zu vielen Fragen. Sie tragen dazu bei, besser zu verstehen, wo Deine individuellen Stellschrauben für mehr Verbundenheit und Kontakt liegen. Hierin liegt die Chance für Veränderung: Denn  Menschen brauchen andere Menschen – damals wie heute.